Ich habe mit 19 meinen Führerschein gemacht. Heute bin ich 38 und habe bisher nie ein einziges Auto besessen. Ich war immer auf dem Beifahrersitz und muss sagen, dass ich diese Position genieße. Ich sitze gerne vorne, wo ich den besten Blick auf die Straße und die Umgebung habe. Als ich noch klein war, ist meine Mutter meistens mit dem Auto mit mir in den Urlaub gefahren. Ich habe es geliebt, weite Strecken mit ihr zu fahren, Musik zu hören, die Landschaft zu sehen, im Auto einzuschlafen und in einer komplett neuen Umgebung aufzuwachen.

Auf dem Beifahrersitz ist es bequem. Ich kann die Fahrt genießen, essen, trinken, schlafen, muss nicht aufmerksam sein und trage schlichtweg keine Verantwortung. Kurz nachdem ich meinen Führerschein gemacht hatte, bin ich nach Berlin gezogen. Ich brauchte kein Auto. Die BVG liebt mich ja 😉 Insbesondere seit ich erlebt habe, was es heißt, wenn meine Mobilität von anderen Menschen abhängig ist, ist mir bewusst geworden, wie viel Macht ich dadurch abgebe, wenn ich die damit verbundene Verantwortung ablehne.

Weil ich nie ein eigenes Auto hatte, habe ich auch kaum Praxiserfahrung, was das Fahren angeht. Darum bin ich nach 20 Jahren auch noch genauso unsicher, was das Fahren angeht. Das behindert mich, denn es schränkt gleichzeitig meine Mobilität ein. Ich brauche immer jemanden, der mich fährt. Gerade in Gambia und den USA bin ich dadurch extrem eingeschränkt. Walkable Cities und eine Infrastruktur, die es mir erlaubt, mich 24/7 mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt zu bewegen — wie ich es in Berlin gewohnt bin — gibt es dort nicht.

In Namibia bin ich einmal eine kurze Strecke mit Papy’s Auto gefahren. Wir ware auf einer Schotterstraße, weit und breit kein anderes Auto und trotzdem war ich extrem anxious und angespannt. Zum einen weil in Namibia Linksverkehr und daher alles auf der anderen Seite ist, aber vor allem, weil ich die ganze Zeit dachte “Ich kann das nicht” “Was wenn ein anders Auto kommt?!” “Was wenn ich was kaputt mache?!” Dieser innere Dialog ist nicht rational, sondern völlig von einer Angst und Unsicherheit getrieben, die in der gegenwärtigen Situation absolut unverhältnismäßig war. Das war ein Automatik-Auto. Da war keinerlei Verkehr auf dieser Straße. Aber aus heutiger Sicht kann ich sehen, dass meine Zeit in Namibia grundlegend von Anxiety geprägt gewesen ist und leider auch die Beziehung zu meinem Beifahrer, der mir die ganze Zeit gesagt hat, dass ich mich doch einfach entspannen soll, in diesem Moment noch mehr Druck in mir erzeugt hat. Allein über die Sinnbildlichkeit dieser Situation in Bezug auf meine Beziehung zu Papy könnte ich einen ganzen Beitrag verfassen… mache ich vielleicht auch noch, aber bleiben wir erstmal bei meinen Fahrversuchen.

Papy und ich haben uns kurz nach meiner Rückkehr nach Gambia getrennt. Ich habe mich dann an einem Tag bewusst dafür entschieden das Auto einer ehemaligen Freundin über die Strecke von Kartong nach Serrekunda, ca 40 km Landstraße, ununterbrochen selbst zu fahren. Was mich dazu bewegt hat, war vor allem die Erkenntnis, dass ich Eigenverantwortung übernehmen muss, wenn etwas in meinem Leben geschieht, dass ich rückblickend als Fehler erkennen kann.

Ich war wieder in einer Beziehung gelanded, in der ich einer anderen Person zuviel Macht über mich gegeben habe, zu viel Verantworung überlassen habe. Diese Beziehung war nun in die Brüche gegangen, und ich konnte das Muster in dem ich mich bewege klar erkennen.

Ich erzähle das alles, weil es ein wunderbar passendes Bild dafür ist, wie es mir momentan auch beruflich geht. Zwar ist es mir nie so leicht gefallen, meine Selbstbestimmung an einen sogenannten Arbeitgeber abzugeben, wie es mir im Beifahrersitz gemütlich zu machen. Ich habe es auch nie lange ausgehalten. Aber trotzdem habe ich mich bis jetzt immer darauf verlassen, dass ich weniger Verantwortung tragen muss, wenn ich für jemanden arbeite, anstatt für mich selbst.

Ich war von April bis Juli 2024 in den USA, um Zeit mit meiner Familie väterlicherseits zu verbringen. Ich bin ohne meinen Vater aufgewachsen und habe ihn erst 2017 wieder getroffen. Seit sieben Jahren bin ich, sind wir, nun also in diesem Prozess, uns kennenzulernen, Beziehungen zu entwickeln und Vertrauen zueinander wiederherzustellen. Damit meine ich nicht nur meinen Vater und mich, sondern auch meine Geschwister, Onkel, Tanten und Cousins.

Meine Onkel, Tanten und Cousins habe ich erst bei diesem letzten Besuch zum ersten Mal kennengelernt. Darunter auch meine Tante Jay (siehe Foto). Sie ist Mental Health Counselor, Doctor of Education, leitet ihr eigenes Non-Profit und ist selbstständige Unternehmerin.

Aunty Jay ist eine Person, die ich sehr bewundere, jemand, zu dem ich aufschaue. Auch wenn wir uns erst seit kurzem kennen, sind wir sehr eng zusammengewachsen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich für die gleichen Themen begeistert wie ich und wir eine ähnliche Zielsetzung verfolgen: Ihr Non-Profit „Mother’s Luv Community Organization“ hat ein Mentoring-Programm für Frauen verschiedener Altersgruppen entwickelt. Zu ihren Plänen gehören die Teilnahme an Gruppen- und Einzelsitzungen zur Behandlung von Bindungsverletzungen, die Bereitstellung pädagogischer und spiritueller Beratung sowie die Vernetzung mit anderen Organisationen, um Ressourcen wie Unterstützung bei der Unterbringung, Verpflegung und Kinderbetreuung bereitzustellen. Die Programme sollen der Community nachhaltige Werkzeuge an die Hand geben, die sie dabei unterstützen, durch das Leben zu navigieren und für sich selbst und ihre Kinder geistig und körperlich gesund zu werden.

Aunty Jay ist meine Mentorin geworden und in einer unserer ersten Sitzungen hat sie mir von einem Buch erzählt, das sich mit Fragen zu Leadership und Management auseinandersetzt. Der Name des Buchs ist „Who’s Driving the Bus?“ Dabei steht der Bus sinnbildlich für ein Unternehmen.

Was meine mangelnde Fahrerfahrung und meine berufliche Situation im Kern gemeinsam haben, ist, dass ich mir bisher nie Gedanken darüber gemacht habe, was es eigentlich für mich bedeuten würde, selbst das Steuer zu übernehmen. Beziehungsweise waren die Gedanken, die ich mir gemacht habe, immer von Ängsten und Zweifeln geprägt.

Wie gesagt, ich hatte noch nie ein Auto, geschweige denn einen Bus. Aber ich bin schon in vielen Bussen mitgefahren. Ich saß auch schon oft vorne, neben dem Fahrer, und wenn ich genauer darüber nachdenke, gab es auch oft Situationen, in denen die Fahrerin mir so viel Vertrauen geschenkt hat, dass sie zwischendurch einfach ausgestiegen ist. Mir wurde dann die Verantwortung für eine Teilstrecke übergeben und ich habe die Fahrgäste sicher ans Ziel gebracht. Aber der Erfolg des Ganzen wurde nicht mir, sondern der Busfahrerin zugeschrieben.

Ich hatte auch oft Streit mit Busfahrern, weil sie meiner Meinung nach rücksichtslos gefahren sind oder einfach Leute auf der Straße stehen gelassen haben.

Jedes Mal, wenn ich also aus einem Bus — einem Arbeitsverhältnis als Angestellte*r — ausgestiegen bin, wurde mir meine Fahrerfahrung oder meine Haltung den Fahrgästen gegenüber nicht als solche angerechnet. Ich war ja nicht die Busfahrer*in und habe sowieso keinen Führerschein für Busse gemacht, den ich vorzeigen könnte.

Immer wieder habe ich versucht, mich selbstständig zu machen. Eine sogenannte nebenberufliche selbstständige Tätigkeit hatte allerdings meistens den Zweck, dass mich Arbeitgeber auf Honorarbasis beschäftigen konnten, um dadurch Kosten zu sparen. Mit Leadership und Unternehmergeist hatte das nichts zu tun. Aber es hat mir ein (falsches) Gefühl von Sicherheit gegeben.

Ich habe über eine lange Zeit hinweg Beschäftigungen aufgenommen und nach wenigen Monaten wieder aufgegeben, weil ich mich nie safe in diesen Teams gefühlt habe, die abgesehen von mir auch meisten komplett weiß waren. In Organisationen, in denen das nicht der Fall war waren es Machtdynamiken, die meistens von Rassismus verdeckt und unsichtbar bleiben, aber nicht weniger gewaltvoll sind. Die schmerzhaftesten Erfahrungen habe ich tatsächlich in Teams mit Schwarzen Kolleg*innen gemacht. Auch da habe ich mich auf die Leadership anderer verlassen und wurde bitter enttäuscht.

Ich habe es satt, mich immer wieder in diese Dynamik wieder zu finden. Ich möchte Autofahren lernen, um mich überall selbstbestimmt bewegen zu können, und ich möchte meinen eigenen Bus, also mein eigene Organisation führen, um das umzusetzen, was mir am Herzen liegt und zwar so wie ich es für richtig und wichtig halte.

Mit diesen Zielen vor Augen werde ich im September mit meiner Mutter nach Portugal fahren — mit dem Auto 🤗 Ich werde diese Fahrt und die darauf folgenden vier Wochen Urlaub unter anderem damit verbringen, mich bei jeder Gelegenheit ans Steuer zu setzen. Mit Unterstützung meiner Mentorin und einem Gründungscoaching werde ich in den kommenden neun Monaten außerdem mein eigenes Coaching-Business kreieren.

Ich lade dich herzlich ein, mich auf meiner Fahrt zu begleiten. Dieser Blog hat lange brachgelegen, aber ich habe viele kleine Ideen, die ich hier pflanzen möchte. Wenn du magst, kannst du sie mit deinen Feedbacks und deiner positiven Energie in den Kommentaren bewässern. Bitte pass auf, dass du nicht darauf trittst oder sie mit etwas Toxischem in Kontakt bringst. Sie sind noch sehr jung und haben vielleicht auch noch nicht die Kraft, das zu überleben.